Das Leiden an der Welt ist eine zu ernste Sache, um sie der Jugend zu überlassen.

(Ein Artikel aus der FAZ von 2004, den ich hier mal ablege, damit er mir zukün­ftig immer zur Ver­fü­gung ste­ht. Toller Artikel.)

Wem die Jugend eine Marter ist, dem ist das Alter eine Erlö­sung: Pop­sänger Mor­ris­sey, früher Chef der Smiths und ein­er der „Great­est Artists of All Time“, ist wieder da. Und bess­er denn je.

Es war fast schon alles aus, vor zwei Jahren, als das Unglück geschah. Vielle­icht waren wieder ein­mal die achtziger Jahre schuld, die schon damals begonnen hat­ten, zurück­zukehren, die erwach­sen gewor­den waren und selb­st­ge­fäl­lig; vielle­icht war es aber auch das ange­broch­ene Jahrtausend, das seinen Sound noch nicht gefun­den hat­te, und als es so herum­suchte in den Song­books der Popgeschichte, fiel ihm jenes eher kurze Kapi­tel wieder ein, in dem schon alles ges­tanden hat­te, über Per­spek­tivlosigkeit und Depres­sion, über Langeweile und Ein­samkeit. Die Band also, die vor knapp zwanzig Jahren so etwas wie den Glam­our der Inner­lichkeit erfun­den hat­te, sie stand auf ein­mal dort, wo sie nie hinge­hörte: ganz oben. Die Leser des „New Musi­cal Express“ hat­ten „The Smiths“ zu den „Great­est Artists of All Time“ gewählt. Aus dem Nichts. Ger­ade ein­mal vier Jahre hat­te die Band existiert, und „Smiths“-Sänger Mor­ris­sey hat­te seit fünf Jahren kein Solo-Album mehr veröf­fentlicht. Doch der phänom­e­nale Tri­umph war vor allem Aus­druck der Ent­täuschung: ein Nachruf, der wehmütig akzep­tierte, daß die Zeit der größten Band aller Zeit­en vor­bei war und daß es Mor­ris­sey alleine niemals schaf­fen würde, sein eigenes Werk zu beer­ben. „The Smiths“ waren im Olymp angekom­men, und weil „The Smiths“ immer eher ein Teil von Mor­ris­sey waren als umgekehrt, mußte man sich fra­gen, wohin sein eigen­er Weg von dort aus nun führen würde. Es war eine ganz neue Form der Ein­samkeit, dort oben an der Spitze der Liste.

Nach sieben Jahren veröf­fentlicht Mor­ris­sey jet­zt wieder ein neues Album, und daß er seine eigene His­torisierung dabei geflissentlich ignori­ert, zeigt nicht nur das Schul­terzuck­en, mit dem er die aktuelle Wertschätzung seines Jugendw­erks hin­nimmt. Denn während die Leser­schaft des „NME“ sich noch immer über­wältigt ein „vor den Bea­t­les“ zuraunt, kom­men­tiert Mor­ris­sey nur: „Ich kon­nte nicht glauben, daß wir gegen Abba gewon­nen haben.“

„You are the Quar­ry“ heißt die Plat­te, mit der er sich nun zurück­meldet, und wer die zwölf Songs ein paar Mal hört, kann kaum noch sagen, ob sie nun alle Erwartun­gen erfüllen, die sich in den ver­gan­genen zehn Jahren anges­taut haben, zählt man die eher unauf­fäl­li­gen Zwis­chen­mel­dun­gen „Mal­ad­just­ed“ (1997) und „South­paw Gram­mar“ (1995) zur Wartezeit dazu. Vielmehr kommt es einem vor, als sei Mor­ris­sey nie weg gewe­sen, was sich­er ein gutes Zeichen ist.

Sie sind fast alle wieder da, die Motive aus dem Mor­ris­sey-Uni­ver­sum, die Haßliebe zu Eng­land („Irish Blood, Eng­lish Heart“), die Lebenslü­gen klas­sis­ch­er Beziehun­gen („All the Lazy Dykes“) und vor allem die Unmöglichkeit, geliebt zu wer­den („The World Is Full of Crash­ing Bores“, „How Could Any­body Pos­si­bly Know How I Feel“, „I Have For­giv­en Jesus“). Aber trotz allem ist das Album kein Tick­et in die Ver­gan­gen­heit, was nicht nur der ungewöhn­lich fröh­lichen Instru­men­tierung zu ver­danken ist, son­dern in erster Lin­ie dem Auftreten des mit­tler­weile 44jährigen. Weltschmerz, Ennui und Außen­seit­er­tum: Das sind zwar noch immer Mor­ris­seys zen­trale The­men. Die Unsicher­heit jedoch, die immer ihr Begleit­er war, ist ein­er erstaunlichen Sou­veränität gewichen.

Es ist nicht der lar­moy­ante Jüngling, „six­teen, clum­sy and shy“, der hier spricht, schon gar nicht im kraftvollen Refrain der ersten Sin­gle: „Irish Blood, Eng­lish Heart, This I’m made of / There is no one on earth, I’m afraid of“. Der neue Mor­ris­sey, das ist vielle­icht die beste Nachricht, hat sich wed­er ver­rat­en noch neu erfun­den — aber er hat sich ein paar Anzüge gekauft und eine Maschi­nen­pis­tole, und er trägt bei­des, als wären es schon immer die respek­t­fordern­den Insignien der Mißver­stande­nen gewe­sen, die Sym­bole seines Fam­i­lien­wap­pens. Mor­ris­seys Posen, die schon immer der stil­sichere Aus­druck ein­er Hal­tung waren, sie haben sich kaum verän­dert; aber heute ste­hen sie ihm bess­er als je zuvor.

Der schöne Liebestod: Verpaßt

Daß es aus­gerech­net der Schutzheilige der Adoleszenz ist, der seinen beruf­sju­gendlichen Altersgenossen vor­ma­cht, wie man in Würde altert, das ist die wahre Sen­sa­tion, die Offen­barung des neuen Mor­ris­sey. Das Altern näm­lich, so schien es, war für ihn so wenig vorge­se­hen wie für Dori­an Gray, und es galt als wahrschein­lich­er, daß seine Todessehn­sucht eines Tages tat­säch­lich zu einem lyrischen Ende wie jen­em aus den grandios­es­ten aller „Smiths“-Zeilen führen würde: „And if a dou­ble-deck­er bus / Crash­es into us / To die by your side / Is such a heav­en­ly way to die / And if a ten-ton truck / Kills the both of us / To die by your side / Well, the plea­sure — the priv­i­lege is mine“. Sich Mor­ris­sey als einen Mitvierziger mit grauen Schläfen vorzustellen — das wäre einem nicht in den unruhig­sten Träu­men einge­fall­en. Wer dage­gen schon damals seine Wein­er­lichkeit und Zer­brech­lichkeit prä­ten­tiös bis unerträglich fand, der kon­nte das Schlimm­ste für die Jahre befürcht­en, in denen seine Jugend nicht mehr als Entschuldigung dafür her­hal­ten würde.

Das Ende dieser Jugend aber — es mün­dete wed­er in den Selb­st­mord noch in die Lächer­lichkeit, und man weiß gar nicht genau, wofür man dankbar­er sein muß. Es ist ein Segen, daß Mor­ris­sey sein Selb­st­mitleid mit­tler­weile ein wenig sparsamer dosiert; daß sich aber seine Verzwei­flung in einen gesun­den Zynis­mus ver­wan­delt hat und seine Unsicher­heit in Sou­veränität: das bedeutet viel, viel mehr. Es bein­hal­tet ein Ver­sprechen, das in der Geschichte des Pop noch nie so deut­lich for­muliert wor­den ist: Das Leben wird bess­er, wenn man älter wird. Schon damals, gewis­ser­maßen aus Sicht des Betrof­fe­nen, wollte Mor­ris­sey seine Jugend am lieb­sten ein­tauschen wie ein unbrauch­bares Geschenk; die Lei­den­schaft aber, mit der er sie ver­achtete, schien immer das Gegen­teil zu behaupten. Tausende schw­er­mütiger Jungs fühlten sich ver­standen, aber Mil­lio­nen von 40jährigen hät­ten sofort mit ihm getauscht. Wenn aber auch ein gereifter Mor­ris­sey der Jugend nicht nach­weint, und dabei so gut aussieht wie nie zuvor, dann gibt es plöt­zlich eine Alter­na­tive zum bish­er schein­bar einzi­gen Rol­len­mod­ell für Pop-Musik­er jen­seits der Vierzig, dem Rock-Opa, der sich noch in seinen Roll­stuhl „I wan­na die before I get old“ gravieren läßt.

Wie er einst die Jugend als Marter zele­bri­erte, feiert er heute das Alter als Erlö­sung. Mag sein, daß etwa Bryan Fer­ry oder David Bowie auf ihre Art schon angedeutet haben, daß es Wege gibt, Bewun­derung in Respekt zu ver­wan­deln. Aber Mor­ris­sey, der ver­mut­lich schon mit vierzehn seine erste Midlife-cri­sis hat­te, ist der erste, der als Elder States­man des Pop zu sich selb­st kommt, ohne Bruch, ohne neues Image. Und wenn sich auch auf der neuen Plat­te die wehmüti­gen Töne nicht über­hören lassen, dann liegt das daran, daß Mor­ris­sey wie kein ander­er weiß, daß das Lei­den an der Welt eine viel zu ern­ste Sache ist, um sie der Jugend zu überlassen.

Das wahre Eng­land: In Kalifornien

Vielle­icht war es ger­ade die lange Pause, die seinen Fans ersparte, ihrem Helden in den kri­tis­chen Momenten des Alterns zuzuschauen. Der Anfang vom Ende schien gekom­men, als Mor­ris­sey vor sechs Jahren Eng­land ver­ließ, um sein neues Heim in L.A., unweit des Sun­set Boule­vards zu beziehen. Die Sonne Kali­forniens, so war zu befürcht­en, würde dem „Pope of the Mope“, dem Papst der Trüb­sal, früher oder später die Melan­cholie aus dem Herzen bren­nen. Aber wer sah, wie Mor­ris­sey in sein­er kleinen Vil­la lebte wie vor ihm Clark Gables Frau Car­ole Lom­bard, für die sie einst gebaut wor­den war, der ahnte schon, daß es wed­er die vik­to­ri­an­is­che Enge war, die ihn von der soge­nan­nten Insel ver­trieben hat­te, noch die Leichtigkeit des amerikanis­chen West­ens, die ihn in irgen­dein­er Weise ange­zo­gen hat­te. Es dürfte kaum einen britis­cheren Ort geben, als das Innere dieses exo­tis­chen Anwe­sens mit seinen Pol­sters­es­seln und Put­ten, und wenn gele­gentlich Nach­barin Nan­cy Sina­tra zum Tee kommt, par­liert man über die Queen, wie zu erfahren war. Sein neues, selb­st­gewähltes Exil hat nichts mit ein­er Flucht in die Nor­mal­ität zu tun, im Gegen­teil: Es erhöht nur die Fall­höhe für seine Ver­schroben­heit. Je heller die Welt um ihn herum strahlt, desto anspruchsvoller ist es, der Außen­seit­er zu sein. „Amer­i­ca Is Not the World“ heißt das erste Stück des neuen Albums: Auch so ein Song über eine unmögliche Liebe, die mit vie­len Ver­sprechun­gen anfängt und in Besitzansprüchen und Zurück­weisun­gen endet. Über­haupt kann man am Ver­hält­nis Mor­ris­seys zu sein­er neuen Heimat die Frage der Ein­stel­lung zu sein­er alten ganz gut able­sen, die für manche noch immer min­destens so klärungs­bedürftig ist wie die sein­er sex­uellen Vor­lieben. Seit er 1992 im Lon­don­er Fins­bury Park im Vor­pro­gramm von Mad­ness aufge­treten war und den zum Teil notorisch recht­sradikalen Fans der Ska-Band, in den Union Jack gehüllt, „Eng­lish for the Eng­lish“ ent­ge­gen­sang, machte die britis­che Musik­presse, allen voran der „NME“, Front gegen den Sohn irisch-katholis­ch­er Eltern. In „Irish Blood, Eng­lish Heart“ nun beweist Mor­ris­sey seinen Nation­al­is­mus vor allem dadurch, daß er von Oliv­er Cromwell bis zu den Tories gegen die gesamte Band­bre­ite britis­ch­er Geis­te­shal­tun­gen wet­tert und von ein­er Zeit träumt, in der man zu sein­er Flagge ste­hen kann, ohne sich dafür zu schämen.

Im Spiegel immer noch: Der Schön­ste. Ich

Dieser Wun­sch, eine fast deutsche Sehn­sucht nach einem unverkrampften Nation­al­is­mus, dürfte die selt­same Debat­te wieder anheizen. Es ist natür­lich absurd, Mor­ris­sey für einen Ras­sis­ten zu hal­ten, und wer daran zweifelt, sollte sich, bevor er sich in end­lose Diskus­sio­nen stürzt, ganz ein­fach ein paar alte Porträts des Kün­stlers als jun­gen Mann anschauen. Sie machen näm­lich sehr schnell klar, daß die Roman­tisierung des Eige­nen keinem Haß auf das andere entspringt, son­dern ein­er Liebe zu sich selb­st. Es hat schon seinen Grund, daß bei Konz­erten Mor­ris­seys bis heute Narzis­sen auf die Bühne gewor­fen werden.

Die homo­sex­uelle Kom­po­nente, die man ihm oft unter­stellte, als wäre dies eine plau­si­ble Antwort auf sein öffentlich zele­bri­ertes Zöli­bat, hat­te immer vor allem mit dieser Selb­stliebe zu tun. Ja, es sind vor allem Män­ner, die ihn lieben, die zu ihm auf die Bühne steigen, die ihn anfassen wollen, als kön­nte seine Berührung ihre Ein­samkeit heilen — aber es waren het­ero­sex­uelle Män­ner. Denn es war nie der Haß auf die Frauen, den Mor­ris­sey ver­mit­telte, son­dern die Ent­täuschung über all die Regeln und Codes, die man beherrschen muß, um lieben zu dür­fen, über die alber­nen Rit­uale des Ken­nen­ler­nens, die Spiele und die Rollen und die Masken. Wenn Mor­ris­sey in den Spiegel schaut, was er, nach allem, was man weiß, gerne und aus­giebig tut, dann sieht er keine Masken. Es ist ein Trick, und vielle­icht ist er ganz ein­fach: Man guckt so lange, bis einem gefällt, was man sieht, und wer am läng­sten dafür braucht, hat gewon­nen. Gegen die Häßlichkeit der Welt zumin­d­est gibt es kein besseres Mit­tel als die eigene Eitelkeit.

Har­ald Staun

3 Kommentare zu „Das Leiden an der Welt ist eine zu ernste Sache, um sie der Jugend zu überlassen.“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ich habe die Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen. Ich stimme zu, dass meine Angaben und Daten zur elektronisch erhoben und gespeichert werden. Hinweis: Sie können Ihre Einwilligung jederzeit für die Zukunft per E-Mail an sachbearbeitung@boerdebehoerde.de widerrufen.

Nach oben scrollen