Ich habe gestern „Gladbeck: Das Geiseldrama“ auf Netflix geschaut. Meine ausdrückliche Empfehlung für alle, die sich für bundesdeutsche Geschichte und True Crime interessieren.
Der Journalist Volker Heise stellt in der Netflix-Dokumentation „Gladbeck: Das Geiseldrama“ die Ereignisse minutiös nach, verwendet dabei ausschließlich Originalaufnahmen. Die Geiselnahme von Gladbeck im August 1988 ist ebenso Dokument massiven polizeilichen Versagens wie journalistisches Schandmal.
Der Ablauf des Geiseldramas sollte hinlänglich bekannt sein. Jegliche ethischen Maßstäbe wurden über Bord geworfen. Sensationsgeile Journalisten drängten sich um die besten Plätze, ohne zu bedenken, dass Menschen in höchster Gefahr waren. Am Ende starben drei Menschen, die Bilder von der später ermordeten Silke Bischoff haben sich ins kollektive bundesdeutsche Gedächtnis gebrannt. Ebenso der locker-lässige Ton, mit dem der RTL-Journalist Hans Meiser live mit einem der Entführer telefonierte.
Zum Vorschein kommt vor allem ein hemmungslos agierender Medien-Mob, der jede Distanz verliert. Das sei in der Hitze der Geschehnisse passiert, hieß es später oft entschuldigend, reflektiert habe man erst später. Aber einige Beteiligte vor Ort zeigten schon damals ein Bewusstsein dafür, dass etwas komplett aus dem Ruder lief.
Insgesamt ein emotional berührender und verstörender Film.
Seit gestern läuft eine sehr interessante 3‑teilige Dokumentation in der ARD-Mediathek. „Auswärtsspiel: Die Toten Hosen in Ost-Berlin“ zeichnet den Weg der westdeutschen Band zu zwei „Geheimkonzerten“ im Osten der Republik nach:
Kurz nach ihrer Gründung an Ostern 1982 führte die westdeutsche Punk-Band „Die Toten Hosen“ die Stasi an der Nase herum: Die Musiker Campino, Andi, Breiti, Kuddel und Trini geben ein Geheimkonzert in einer Kirche, mitten in der damaligen DDR. In „Auswärtsspiel – Die Toten Hosen in Ost-Berlin“ von Martin Groß wird dieses einzigartige Ereignis nun zum ersten Mal umfassend erzählt. Mit entdeckendem dokumentarischem Blick folgt der Film bisher vergessenen Hinweisen, spürt unmittelbar Beteiligte auf und fördert ungewöhnliche Momente zu Tage.
Ein Film, der aber mehr als ein Bericht über ein illegales Konzert im Osten ist. Es geht um Punk im Osten und die Angst, die die Stasi und die DDR-Oberen davor hatten. Im Mittelpunkt der Doku steht neben den Hosen auch eine DDR-Punkband: Planlos.
Man muss noch nicht einmal Fan von Punk oder den Toten Hosen sein, um sich für diese 75-minütige Doku zu interessieren (am 13. April um 22.50 Uhr im Ersten; bereits ab 10. April, dem Band-Geburtstag, in der ARD-Mediathek als 90-Minüter in 3 Folgen). Denn „Auswärtsspiel“ ist auch eine Verbeugung vor den aufmüpfig-mutigen Ost-Musikerkollegen der Hosen – und „ein Stück Zeitgeschichte, jetzt ganz von Punkrock unabhängig“, wie Gitarrist Michael „Breiti“ Breitkopf feststellt.
Was ist also passiert, damals vor fast 40 Jahren, in der Hauptstadt der damaligen DDR? Eine Rückblende. Knapp ein Jahr nach der halboffiziellen Bandgründung mit einem Bremer Debütkonzert im April 1982 gelingt den Toten Hosen ein frecher Coup: Vorbereitet durch den gewieften britischen, in Berlin lebenden Musikmanager Mark Reeder (wurde später mit dem Techno-Plattenlabel MFS bekannt), führen Campino, Andi, Breiti, Kuddel und Trini die DDR-Stasi an der Nase herum.
Das Ziel der Reise ist die Erlöserkirche in Ost-Berlin in Rummelsburg, die unter misstrauischen Blicken des realsozialistischen Staates Blues- und Rockmessen ausrichtet. Gemeinsam mit den von DDR-Punks bereits bewunderten Toten Hosen tritt die Ost-Band Planlos um Sänger Michael „Pankow“ Boehlke und Schlagzeuger Bernd Michael Lade auf (der nach der Wiedervereinigung als „Tatort“-Kommissar Erfolg haben wird). Die Instrumente und die Anlage für das circa halbstündige Konzert wurden von Planlos gestellt. Anzahl der Zuschauer: 25.
„Auswärtsspiel“ erzählt nun mit Sensibilität und Witz die Geschichte dieser Begegnung zweier Welten und des illegalen Punk-Auftritts in seltenen Archivaufnahmen und aktuellen Interviews. Wo Filmdokumente fehlen, wird die Erinnerung auch mal mit Cartoons nachgebildet. „Ost-West durch die Brille des Punk“, so erklärt Regisseur Martin Groß den Anspruch seines Films.
Zu den emotionalen Höhepunkten gehören die Wiederzusammenführung der Musiker und ein Tribute-Konzert der Hosen in der Berliner Kirche, man sieht Tränen glitzern. Die Rolle des Buhmannes übernimmt ein Ex-Stasi-Mitarbeiter, der auch auf die Punkszene angesetzt war – man fühlt gleichwohl Respekt dafür, dass er sich mit seiner Sicht der Dinge, die sich bis heute nicht geändert hat, einer Kamera gestellt hat, dem Gespräch mit Campino. „Ich bin beteiligt wie viele andere an einem Teil der Systemauseinandersetzung“, sagt der Stasi-Mann über seine Arbeit. „Ich sitze jetzt auf der Verliererseite dieser Systemauseinandersetzung.“ Allein das kurze Gespräch zwischen Stasi-Mann Briske und Campino ist das Ansehen wert.
Heute ist klar, dass der Auftritt der Toten Hosen Anfang der 80er-Jahre zusammen mit (den später von der Stasi perfide kaltgestellten) Planlos für die Ost-Punkszene ein Signal der Solidarität war. Im Film sagt Campino: „Das war so ’ne Art Untergrundpfadfindertum, was ich mein Leben lang geil fand.“ Und Planlos-Drummer Lade meint: „Das war alles schon Vormusik auf den Untergang der DDR.“
Nicht nur in der TV-Dokumentation fällt auf, wie tief sich die Toten Hosen vor ihren Ost-Kollegen verneigen. „Durch dieses Filmprojekt ist zu sehen, was für geniale Typen diese Planlos-Jungs waren“, bekräftigt Campino. Dass sich die jungen Musiker in der DDR nie haben korrumpieren lassen – „das beeindruckt mich nach wie vor“, so der Hosen-Sänger. „Gegen euch sind wir wirklich nur ein Kindergeburtstag.“
Und Hosen-Gitarrist Breiti ergänzt: „Dass sie sehr mutig waren und ein viel härteres Programm hatten als wir jemals auch nur annähernd, das war uns immer bewusst. (…) Bei uns war klar: Wenn das Ganze auffliegt, dann landen wir für eine Nacht in einer Arrestzelle und dann werden wir wieder rausgeschmissen. Aber für alle Leute im Osten hätte das ganz andere Konsequenzen gehabt.“
Man weiß dieser Tage gar nicht mehr, was man zuerst schauen soll; so sehr überbieten sich die ostdeutschen Regionalsender mit Sendungen zu „30 Jahre Wende“. Deshalb hier nur folgender Hinweis: Seit heute früh zeigt der RBB immer um ca. 6.00 Uhr die „Aktuelle Kamera“ von jeweils vor 30 Jahren taggenau, ungeschnitten und in voller Länge.
Am Dienstagmorgen, 5. 11., ab 1.15 Uhr zeigt der RBB nochmal die größte Demonstration, die jemals in der DDR stattgefunden hat:„Die größte Demonstration in der Geschichte der DDR am 4. November 1989, organisiert von Künstlern und Kulturschaffenden, richtete sich nach den Polizeiexzessen vom Oktober im ganzen Land nun explizit gegen weitere Gewalt und für die in der Verfassung der DDR festgeschriebenen Rechte eines jeden Bürgers auf u.a. Presse‑, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Auf der Abschlusskundgebung auf dem Alexanderplatz vor einem Meer aus Menschen ergriffen das Wort neben den Organisatoren, den Berliner Theatermachern wie Ulrich Mühe, Jan Josef Liefers oder Heiner Müller, den Schriftstellern Christa Wolf, Stefan Heym und Christoph Hein, den Bürgerrechtlern wie Marianne Birthler, Jens Reich oder Friedrich Schorlemmer, auch Mitglieder der alten Nomenklatura wie Ex-Geheimdienstchef Markus Wolf oder der Berliner SED-Boss Schabowski, dessen Zettel nur fünf Tage später weltberühmt wurde. Die Kundgebung endete nach gut drei Stunden unter dem aufreißenden Novemberhimmel mit der Aufforderung von Steffi Spira an die alten Genossen: „Abtreten!!!“ Sehen sie die damalige Live-Übertragung des frisch gewendeten DDR-Fernsehens in voller Länge als einzigartiges historisches Dokument.“
Das verspricht eine interessante Zeitreise zu werden.